Meine Geschichte mit Ana

Ich denke zum ersten mal kam ich als Kind mit Ana in Berührung. Ich sah irgendeine amerikanische Serie (vermutlich in Richtung von Law and Order) wo ein Mädchen vor Gericht war weil sie auf einer Website Tipps zum übergeben & so gegeben hatte. Sie war glaube ich angeklagt weil jemand dadurch gestorben ist. Ich fand es jedenfalls interessant, hatte es aber nach ein paar Tagen bereits wieder vergessen.
Meine Schwester hatte eine Freundin welche essgestört war und irgendwann fing sie ebenfalls an immer weniger zu essen. Ich war fasziniert von ihrer Kontrolle über ihren Körper und ihre Selbstbeherrschung was das essen anging. Nicht viel später begann sie zusätzlich zu erbrechen. Da mein Zimmer fast direkt neben dem Badezimmer lag habe ich es natürlich hören können.
2014 ging es dann bei mir los. Ich wollte ein wenig abnehmen um einem Jungen zu gefallen. Da wog ich 55kg was bis 2015 mein natürliches Gewicht war (ein Gewicht welches ich ohne Probleme halten kann ohne Kalorien zu zählen oder mich jede Woche zu wiegen). Zur gleichen Zeit lief Germanys next Topmodel. Jede Woche sah ich im Fernsehen schlanke Körper und jeden Tag in der Schule super flache Bäuche. Meine Klassenkameradinnen verbrachten vermutlich die meiste Zeit des Tages im Fitnessstudio, was mir aber zu anstrengend wäre. Ich suchte mir im Internet Fitnesschallenges für jeweils einen Monat raus und holte mir eine Ernährungsapp. Die Lebensmittel dort (man konnte auch selbst welche hinzufügen) wurden in ein Ampelsystem geordnet nach Nährwert und Kalorien auf 100g. Ich fing an alles was ich aß abzuwiegen weil ich genau wissen wollte wie viele Kalorien ich zu mir nahm. Viele Lebensmittel waren in der roten oder gelben Kategorie, also aß ich mittags nur noch Gemüse, gebraten mit maximal 1EL Öl, und manchmal einem Viertel-block Räuchertofu. Für die Schule nahm ich ein oder zwei Pickup mit und zuckerfreie Kaugummis. Abends gab es eine Scheibe Toastbrot ohne Belag.
Dann wurden die Portionen kleiner. In der Schule nur Kaugummis, zu Mittag einen Kuchenteller halbvoll mit Gemüse und Abends weiterhin eine Scheibe Toastbrot (aber nun eine kleine). Vermutlich (ich weiß es nicht mehr genau) nahm ich am Tag 400kcal zu mir und machte dazu noch Abends Sport. In meinem Zimmer sammelten sich immer mehr Süßigkeiten und Energydrinks an. Alles größtenteils unangetastet.
Von dieser riesigen Pro Ana Gemeinde wo Menschen versuchen magersüchtig zu werden wusste ich zu diesem Zeitpunkt nichts.
Meine Schwester hatte inzwischen ihre eigenen Probleme (sie wurde komplett bulimisch), mein Vater war häufig arbeiten und meine Mutter wohnte nicht bei uns, niemand merkte somit mein verändertes Essverhalten. Mein Vater wurde auf meinen Gewichtsverlust aufmerksam als ich in etwa 50kg wog. Von da an wollte er erstmal immer das Ergebnis wissen wenn ich mich wog (ich hatte ihn auch nur selten deswegen angelogen). Meine Freundinnen fanden es wahrscheinlich auch seltsam dass ich bei gemeinsamen Abenden immer Snacks mitbrachte aber selbst kaum was davon aß.
Als ich 48-49kg wog zog ich die Bremse. Irgendwie hatte sich in meinem Kopf ein Schalter umgelegt mit dem Gedanken dass ich nun eine zeit lang alles essen konnte ohne übergewichtig zu werden. Ich fand es super. Als mein Umfeld bemerkte dass ich wieder mehr aß war es ihnen auch nicht mehr so wichtig zu erfahren wie viel ich aktuell wog. Natürlich wog ich dann bald wieder 55kg aber das war nicht schlimm weil ich mich nur noch selten wog oder die Umfänge von bestimmten Körperpartien maß.

Anfang 2015 war ich dann wegen Depressionen in einer Klinik. Eintrittsgewicht: 55kg.
Ich bekam Medikamente welche mich als Nebenwirkung zunehmen ließen, in Kombination mit einer dort entwickelten Schilddrüsenunterfunktion, Essen welches nicht sättigte und viel Freizeit um im nächsten Supermarkt Süßigkeiten zu kaufen. Während meines Aufenthalts dort hatte ich für ein paar Wochen eine Zimmergenossin welche den perfekten Körper hatte. Groß, schlank, durchtrainiert. Sie machte ständig Sport und aß anstelle des Klinikessens lieber selbst gekauftes Eiweißbrot oder machte sich einen Salat.
Mein Entlassungsgewicht: 61kg.
Ich zog zu meiner Mutter welche mir so große Portionen wie meinem Stiefvater (Bauarbeiter) auf den Teller gab und so wog ich trotz Sport 67kg als meine Reha anfing. Durch diesen Ortswechsel (und meine Sozialen Ängste in die Bewohnerküche zu gehen) fing dann wieder eine Ana-Phase an. Diesmal ohne Kalorienzählen, jedoch mit surfen nach Ana Rezepten und Blogs. Trotzdem achtete ich darauf wie viele Kalorien mein essen vermutlich hatte. Ich fing an jeden Tag mindestens eine halbe Stunde Sport zu machen und aß bald nur noch eine Mahlzeit (Mittagessen) mit möglichst hohem Gemüseanteil auf meinem Teller (war ein Büffet) und Abends einen Riegel Schokolade oder einen Keks. In diesem Zeitraum lief Club der Roten Bänder und wiedermal ließ ich mich von einer Essgestörten (Emma aus der Serie) anspornen abzunehmen.
Da Anfang Dezember ein paar Mädels die Idee verbreitet hatten sich für die Weihnachtsfeier schick zu machen probierte ich zum ersten mal eine dieser pro Ana Diäten aus um in meinem Kleid möglichst gut auszusehen. Ich weiß nicht wie viel ich dadurch abgenommen hatte aber ich war bestimmt irgendwo zwischen 57 und 60kg (am 12.Dezember wog ich 65,5kg und am 28.Dezember trotz Weihnachtsessen 63,55kg). Mit der Ernährung während der Diät fühlte ich mich super jedoch fiel meinen Mitrehabilitanden auf dass ich nie beim Mittagessen anwesend war und mein Magen ständig knurrte (trotz Appetitzügler).
Im Januar 2016 fing ich eine Beziehung an. Nennen wir ihn K. K ist übergewichtig. Ich glaube bei uns passt das Sprichwort "Gegensätze ziehen sich an" ganz gut. Er machte sich ziemlich schnell Gedanken über mein Essverhalten aber fragte nicht nach. Als ich seine Familie kennen lernte gingen wir schick essen. 3 oder 4 Gänge ohne dass er mich vorgewarnt hatte. Ich schaffte es irgendwie alle Gänge zu meistern ohne dass jemandem etwas auffiel. Irgendwie hatte das dann wieder dazu geführt dass ich `normal´ aß. Dann wurden mit den Wochen die Portionen größer, ich nahm wieder zu und bekannte machten Kommentare zu meinem Gewicht. Irgendwann erzählte ich K von meinen Komplexen wegen meiner Figur und von meiner Pseudo-Essstörung. Dass ich aktuell auch gar keine Therapie deswegen möchte sondern einfach nur dünn sein will. Ein paar Wochen oder Monate später erzählte er es aus Versehen einem Kumpel von uns. War ja super. Es folgte eine Zeit in der ich am liebsten nichts essen wollte aber den Schein wahren musste dass K Quatsch erzählt hatte.
Juni 2016 hatte ich aufgrund meiner baldigen Entlassung und der für mich im August wieder beginnenden Schule (nach ca 1,5 Jahren pause) wieder den Wunsch richtig diszipliniert zu sein und wieder abzunehmen. mindestens bis zu meinem ehemals natürlichem Gewicht von 55kg. Ich ging wieder auf diese ganzen pro ana seiten, trat in ein paar Whatsappgruppen ein, holte mir eine App zum Kalorien zählen und machte diesen Blog. Nebenbei recherchierte ich nach guten Kliniken für Essgestörte und den Tagesablauf dort.

Und so sind wir bei Heute (Ende August) angelangt. Seit Juni habe ich ungefähr 7kg abgenommen. Ich bin inzwischen raus aus der Reha, wohne bei meiner Mutter und gehe wieder zur Schule. Mit K habe ich abgemacht dass ich für sein Gewissen mindestens einmal am Tag was warmes zu mir nehme und jeden zweiten Tag eine halbwegs normale Mahlzeit esse. Meine Mutter macht sich vermutlich ein wenig Sorgen über meinen Gewichtsverlust, K ebenso aber bisher hat er meiner mutter nichts gesagt und ich hoffe dass das auch so bleibt.

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